Die Kirchen-Visitation im Jahr 1575
Die letzte welche bis jetzt in unserer Gegend abgehalten wurde, galt der Ephorie Großenhain, einer der größten in Kursachsen. Sie umfaßte damals 276 Ortschaften, darunter 8 Städte, mit 60 Mutter- und 39 Tochterkirchen und 76 Predigern.
Folgende Orte unseres Kreises gehörten damals zur Großenhainer Ephorie und wurden von der Visitationskommision besucht: Altbelgern mit Martinskirchen und Stehla, Blumberg, Bockwitz mit Mückenberg, Boragk mit Fichtenberg und Burxdorf, Koßdorf mit Langenrieth, Elsterwerda mit Dreska, Kahla und Plessa, Gröden, Großkmehlen, Großthiemig, Mühlberg, Ortrand, Saathain mit Stolzenhain und Prösen, Saxdorf mit Möglenz und Kauxdorf, Würdenhain mit Oschätzchen.
Ausführliche Nachrichten über den Verlauf dieser General-Visitation enthält eine Matrikel, die älteste der Superintendentur Großenhain, von der in der vorzüglichen „Chronik der Stadt Großenhain“ von Dr. Schuberth das Wissenswerteste veröffentlicht worden ist. Die Matrikel gibt Aufschluss über die vorhandenen Zustände in den einzelnen Ephorien und über die Ergebnisse der Prüfungen, auf Grund deren die Tüchtigkeit der Geistlichen und Lehrer festgestellt wurde. An Verordnungen mangelt es auch nicht. Folgende Gebote, die die damalige kirchliche Zucht und Ordnung erkennen lassen, erwähnt genannte Chronik ausführlich.
1. An allen Sonn- und Festtagen soll jeder Hausvater samt seinen Kindern und Gesinde die Früh- und Nachmittagspredigt besuchen und ohne besondere Erlaubnis seitens des Pfarrers und des Richters nicht wegbleiben. Übertretungen sind mit 10 Gr. Halb der Kirche und halb der Gemeinde zu gut zu strafen. Richter und Schöppen haben darauf zu achten, daß kein Fall unbestraft bleibt. Auch in den Wochen- und Passionspredigten in der Fastenzeit, welche der Pfarrer nach Verordnung des Superintendenten ansetzt, soll aus jedem Hause entweder der Wirt oder die Wirtin mit den Kindern und dem Gesinde bei Strafe von 5 Gr. sich einfinden. In gleichen sind die Kinder und das Gesinde zu den Katechismuspredigten fleißig anzuhalten. Den Pfarrherren ist ferner auferlegt und befohlen, alle Jahre Privateramina (mit den Erwachsenen) zu halten und dabei je zwei oder drei Häuser zusammenzufordern. Welcher Wirt und welche Wirtin sich dazu nicht einstellt, soll vom Amte um ein Schock gestraft werden.
2. Die Sonntagsarbeit mit Pferden soll um 20 Gr., die Handarbeit aber an Sonntagen und geordneten Festen mit 10 Gr. gestraft werden.
3. Weinstuben und Rockenstuben, Scheidabende sowie alle nächtlichen Zusammenkünfte sind dem Wirt bei Strafe eines neuen Schocks, dem Gast aber bei Strafe von 30 Gr. zu verbieten.
4. Von denselben Strafen werden Wirt und Gast betroffen, wenn Labetänze und sonstige Tänze bei anderen Gelegenheiten als zu Hochzeiten und Verlöbnissen stattfinden.
5. Gastereinen unmittelbar vor Trauungen sind unstatthaft, und wo eine solche vorkommt, ist der Bräutigam mit einem Schock Gr. in Strafe zu nehmen.
Eigenartige Zustände fand die Visitations-Kommission in manchen Orten unseres Kreises und seiner Umgebung vor.
In Großthiemig war der Pastor zugleich Eigentümer der Schänke, er hatte sie von seinem Vater geerbt, der offenbar dort Gastwirt gewesen war und seinen Sohn hatte Pastor werden lassen. Der Pastor und Gasthofsbesitzer hatte aber durch seinen zweifachen Beruf Anstoß erregt, die Visitations-Kommission gab ihm daher die Weisung, die Schänke binnen Jahresfrist zu verkaufen.
In Lorenzkirch lag der Fall ähnlich; dort beklagte sich der Wirt darüber, daß der Pfarrer bei gewissen Gelegenheiten Bier verkaufe, auch in seiner Wohnung selbst „Gäste setze“. Der Verklagte bestreitet das zwar, es werden ihm jedoch derartige Übergriffe für die Zukunft untersagt. In Würdenhain erhielt der Amtsschöffer von der Kommission den Auftrag, dem dortigen Pfarrer wieder zu seinem Recht zu verhelfen; dem war nämlich nach seinen Angaben ein großes Stück von seinem Felde weggeackert worden.
In Linz bei Ortrand beklagten sich der Patron und die Gemeinde darüber, daß der Pfarrer alle seine Predigten aus Büchern ablese und auch im Lesen sehr unsicher wäre. Er wurde dennoch wegen seines hohen Alters im Amte belassen.
Ihre Not hatte die Visitations-Kommission in der Gegend von Senftenberg, wo sie manchen ungeeigneten Pfarrer fand, aber im Amte belassen mußte, da schwer ein Nachfolger zu finden war, der wendisch predigen konnte (in Bockwitz wurde noch im Jahre 1700 Gottesdienst in wendischer Sprache abgehalten).
Ein wenig günstiges Licht warf das Ergebnis jener General-Visitation auf manche Gemeinden. Die Leute in Fichtenberg benutzten ihre Kirche zur Abhaltung des Gemeindebiers und zu anderen „leichtfertigen Sachen“, was künftig bei Strafe von zwei Schock Gr. verboten wurde. Fichtenberg muß überhaupt ein echtes „Bierdorf“ gewesen sein, denn die Gemeinde wurde dazu ermahnt, ihr Pfingstbier nicht eher als am Pfingsttage selbst zu trinken, sowie das „Kugellege“, welches sie neben ihrem Gemeindehause dicht beim Kirchhofe eingerichtet hatte, von da zu verlegen, bei Strafe eines Schocks Gr. für die Gemeinde und jeden Spieler. Auch dem Wirt wurde dieselbe Strafe angedroht, wenn er während des Vor- und Nachmittagsgottesdienstes „Gäste setzt“ und Bier verschenkt oder Spiel und andere Leichtfertigkeit dulde.
In Altbelgern endlich (erzählt die Chronik zuletzt) ist gar Unfug eingerissen, daß die Junggesellen während des Gottesdienstes von den Emporen herab die unten sitzenden Mägde mit Steinen werfen, sowie auch sonst „gar ärgerlich“ sich verhalten, und es wird diesem Frevel gegenüber den Kirchvätern und Richtern zur Pflicht gemacht, die Übeltäter zu ermitteln und zum „Abscheu“ für die Andern mit dem Halseisen zu bestrafen.
Die eingangs erwähnte Matrikel in der Großenhainer Superintendentur enthält außerdem von jeder Kirchengemeinde der Ephorie ein Verzeichnis der Einkünfte, der vorhandenen Bücher u.a.m.
Leider ist aber, wie Dr. Schuberth in seiner Chronik mitteilt, ein Band der Matrikel mit vielleicht sehr wertvollen Aufzeichnungen verloren gegangen.
Quelle: Schwarze Elster Nr.: 31 vom 20.09.1906
Die Ausdrucksweise entspricht der damaligen Berichterstattung.