Der Elbübergang von 1866
Aufzeichnungen des ehemaligen Lehrers R. Kürsten zu Fichtenberg über den Übergang des General Herwarth v. Bittenfeld über die Elbe in der Nacht vom 15. zum 16. Juni 1866 und über die Weihe des Gedenksteines am 16. Juni 1867.
Höchst merkwürdig war das Kriegsjahr 1866 für Fichtenberg. Unser Dorf war ja eben der Konzentrationspunkt aller Truppen der großen Elbarmee, die auf der rechten Elbseite in der Gegend von Torgau, Herzberg und Liebenwerda zerstreut lagen und unter dem Generale Herwarth von Bittenfeld hier auf einer Schiffbrücke in der Nacht vom 15. zum 16. Juni 1866 über die Elbe gingen und ins Königreich Sachsen einrückten.
Es war am 15. Juni nachmittags, als die Nachricht ins Dorf kam: im Horn (so heißt der Teil des Fluren Fichtenbergs an der Elbe) wird eine Schiffbrücke geschlagen. Auf 41 Wagen, mit 250 Pferden bespannt, waren die Pontons angekommen. Unter Leitung des Rittmeisters von Kraufeder und des Leutnants von Holze war die schöne Brücke von 4 bis 6 Uhr fix und fertig. Anfangs glaubte man, die jenseitigen Truppen würden auf derselben herüberkommen, um von hier aus ebenfalls, wie andere, nach Schlesien vorgeschoben zu werden: aber bald wurde man eines besseren belehrt. Denn um die dieselbe Zeit rückten auf allen Wegen von Mühlberg und Boragk her unzählige Militärkolonnen: Infanterie, Kavallerie und Artillerie an und ehe man es sich versah, füllte sich unser Dorf voll Truppen (2 Kompanien vom 8.Rheinischen Jägerbataillon und eine Abteilung Husaren lagen schon länger hier), daß von ordnungsmäßiger Einquartierung keine Rede war. Wo sich nur irgendwie ein Platz für die Pferde fand, da wurden Sie untergebracht, in Scheunen, Schuppen, Ställen und dergleichen, die Mannschaften mußten zusehen, wo Sie unterkamen. Referent stieg auf den Turm, um sich dieses Treiben so recht ansehen zu können, aber wie ihm da zumute wurde, läßt sich bei der in solcher Zeit mit sich bringenden Gemütsaufregung nicht beschreiben. Nicht nur das Dorf war von Militär vollgepfropft, auf allen Plätzen um dasselbe lagerten Soldaten, selbst im Getreide auf der an uns grenzenden Domäne Borschütz wurde biwakiert, und immer mehr Kolonnen näherten sich von Norden und Nordosten her unserem Dorfe. Um dieses Schauspiel zu genießen, kamen außer einigen Einwohnern des Dorfes auch bald Offiziere auf den Turm. Selbst der Oberst-Leutnant Prinz von Hessen ließ sich durch meine Hand die oberste Treppe zur Durchsicht hinaufziehen. Oben angekommen, sagte er zu mir: „Das ist ein saures Stück Arbeit“. Bald aber fühlte er sich reichlich belohnt. Sichtlich erfreut war er, das große Lager in und um Fichtenberg zu schauen, die Elbe mit der bald fertigen Schiffbrücke zu sehen. Besonderes Interesse schien es für Ihn zu haben, die Namen der Ortschaften in der Nähe und Ferne kennen zu lernen, sowie die Grenze des vor ihm liegenden Sachsenlandes, in welches man in wenig Stunden einrücken würde. Über alles mußte ich ihm die nötige Auskunft geben.. Die schöne Aussicht vom Turme lockte auch andere Soldaten hinauf und bald ertönte: „Heil dir im Siegerkranz“ und: „Ich bin ein Preuße“ hoch herab über die Grenze nach Sachsen hinüber. Ruhigere und ernstere Leute vom Militär erbaten sich die Erlaubnis, in die Kirche gehen zu dürfen, um zu beten; andere, aufgeregte, probierten die Glocken und fingen unnützerweise an zu läuten, was die hiesigen Einwohner in neue Schrecken versetzte, da viele glaubten, es sei Feuer ausgebrochen und die Sturmglocken riefen zur Hilfe. Ich konnte den Unfug beim besten Willen nicht steuern, da bei manchem die Aufregung ziemlich stark war. Wenn ich unten abwehrte, fingen andere oben an, und wehrte ich oben ab, fing es unten an zu baumeln. Nur nach und nach auf mein Zureden, durch einen Offizier unterstützt, wurde die Ruhe hergestellt.
Endlich wurde auf dem heiligen Rittergute von dem Oberkommandierenden der Befehl zum Ausrücken gegeben, zum Übergange der Schiffsbrücke und zum Einrücken ins Königreich Sachsen. Es sollten die Soldaten das sächsische Volk nicht als Feinde, sondern als Freunde behandeln, und sich keines Vergehens zuschulden kommen lassen, da Preußen nicht gegen das Volk, sondern nur gegen die Regierung Krieg führte.
Gleichzeitig erscholl überall das Kommando: „Scharf geladen!“ Mutig und vergnügt wurden die Patronen in den Lauf geschoben. Viele riefen freudig: Na, endlich einmal !
Nach 8 Uhr abends ging es ab nach der Elbe zu. Es mochte wohl fast gegen 9 Uhr sein, als (Referent war aus Neugier, wie viele andere, an die Elbe hinaus gereist und sah es mit eigenen Augen) die ersten 2 Kavalleristen (2 Offiziere) mit hoch geschwungenem Degen zu Pferde den Zug über die Schiffbrücke eröffneten. Alle anderen Kavalleristen waren abgesessen und führten die Pferde hinüber. Der Kavallerie folgte Infanterie, dann Artillerie und so abwechselnd verschiedene Truppenteile. Das Gerassel der Wagen und den Tritt der Pferdehufe hörte man hier im Dorfe ganz deutlich. In meiner Stube bei offenem Licht war es zu vernehmen wie ein Hagelwetter, das auf entfernte Ziegeldächer schlägt. Anderthalb Stunden von der Elbe östlich an der Anhaltischen Eisenbahn hat man noch ganz deutlich in der stillen Nacht das Geräusch und das Hurrarufen gehört, was mir die Bahnwärter vielfach erzählt haben. Der Zug über die Schiffbrücke hatte ungefähr eine halbe Stunde gedauert, als auf einmal nach Südsüdost zu der Himmel glutrot wurde. „Die Riesaer Elbbrücke brennt !“ So ertönte es gleichzeitig aus hunderten von Kehlen der Zivilpersonen, die sich aus Mühlberg, Fichtenberg und anderen Ortschaften eingefunden hatten, um den Übergang mit anzusehen. Selbst Sachsen aus Jacobsthal und Kreinitz waren zugegen; aber wohl mit welcher Gemütsbewegung !
General Herwarth von Bittenfeld hielt lange zu Pferde am diesseitigen Ufer der Elbe, fortwährend seine abwechselnden Truppenteile grüßend.
Die preußische Kavallerie mußte ziemlich schnell geritten sein, da Sie schon an der Riesaer Brücke anlangten, als die sächsischen Pioniere, welche die Brücke in Brand gesetzt hatten, nur eben in einen kleinen Dampfer eingestiegen waren, um nach Meißen zu fahren, und erwischt werden konnten, wenns die Preußen gewusst hätten. Die Entfernung von der Schiffbrücke nach Riesa über Strehla beträgt doch wenigstens 2,5 Stunden.
Die entkommenen Pioniere hatten auch die Brücke in Meißen sprengen sollen, allein, ehe Sie hingekommen, waren die Bogen derselben zusammengestürzt, da die Angst das dortige Militär getrieben hatte, als es die Riesaer Brücke brennen gesehen, ihr törichtes Werk zu vollenden, ehe jene von Riesa angekommen waren. Der kleine Dampfer hatte nun nicht über Meißen hinauf gekonnt, die Insassen hatten unterhalb der zerstörten Brücke aussteigen und den Kahn im Stiche lassen müssen. Der Brand der Riesaer Brücke, die reichlich mit brennenden Flüßigkeiten getränkt worden war, leuchtete hell durch die Nacht, weit in Preußens Land herein. „Verflucht Sachs ! brennen die Bruck ab !“ riefen die Pommern, die mit ihren Pferden zum Pionier-Train in Gaitzsch und Fichtenberg hielten.
Der Übergang über die Brücke währte, mit wenig Unterbrechung, die ganze Nacht hindurch bis zum anderen Tage, den 16. Juni, vormittags 9 Uhr. Die Brücke wurde dann schnell abgebrochen und folgte den Truppen über Strehla nach. Bei Riesa ist sie, soviel ich weiß, wieder aufgefahren worden, um auf längere Zeit die Verbindung zwischen Riesa und Röderau mit der Berlin-Anhaltischen Eisenbahn zu erhalten.
Wieviel Truppen über die Brücke hier gegangen sind, läßt sich mit Bestimmtheit nicht angeben; man schätzt es gegen 20 – 25000 Mann.
Diese ganze Nacht hindurch war in Fichtenberg keine Ruhe, da fortwährend Truppen durchkamen. Spät in der Nacht kam noch eine große Feldlagerei-Kolonne an, die auf einige Stunden einquartiert werden mußte und dann wieder abzog. – So manches ergriffene Herz rief aus: „An diesen Tag, an diese Nacht werden wir denken, so lange wir leben !“
Dieses Ereignis, - ein Teil des großen Feldzuges – das in seinen Folgen von so großer Bedeutung war, für die Nachkommen Fichtenbergs unvergeßlich zu machen, wurde vom Schreiber dieses immer darauf hingearbeitet und sowohl bei der hiesigen Polizei-, als auch bei der Ortsbehörde leise angeklopft, damit eine kleine Jahresfeier dieses merkwürdigen Tages veranstaltet und ein, wenn auch nur ganz einfacher Stein gesetzt würde, der die Stelle an der Elbe bezeichnen sollte, wo der Übergang stattfand. Nach langem Zögern, weil bei gar vielen der Egoismus wohl groß, der Patriotismus aber sehr klein ist, wurde endlich wenige Wochen vor dem Jahrestage beschlossen: Ja, wir wollen diesen Tag feiern und einen Denkstein setzen. Freiwillige Gaben wurden gesammelt, (Schreiber dieses erinnerte die Gemeindemitglieder schriftlich, daß jede Gabe hierzu ein Dankopfer sei für die gnädige Hilfe Gottes in der Kriegsnot) die Erlaubnis, den Stein auf den Elbdamm setzen zu dürfen, vom königlichen Deichhauptmann eingeholt, der Stein angefertigt, (vom Steinmetz Kirmes in Jacobsthal, neu angestrichen und mit schönerer Schrift versehen 1868 von Steinmetz Leuschner in Mühlberg.) und alles nötige zur Festfeier vorbereitet. Am 16. Juni 1867 früh wehten zwei große Fahnen mit der preußischen Nationalfarbe an der Stelle, wo der Stein in aller Frühe bereits gesetzt war.
Punkt 10 Uhr, nachdem der gewöhnliche sonntägliche Frühgottesdienst beendet war, läuteten die drei Glocken Fichtenbergs die Festfeier ein. Die sämtlichen Schulkinder sowie die Gemeinde und viele Freunde versammelten sich unterdessen vor der Schule. Der Zug wurde geordnet und mit dem Verstummen des Geläutes setzte sich derselbe unter den Marschklängen der Musik des Mühlberger Stadtmusici C l a r u s in Bewegung. Voran trugen zwei Schulknaben große schwarz-weiße Fahnen. Es folgte die Musik, darunter 4 Schulknaben mit Trommeln und einige mit Pfeifen, die ihr Stück ausspielten, wenn die Blasinstrumente des Stadtmusikus schwiegen, und so den Zug in marschmäßiger Bewegung erhielten. Jetzt kamen die Schulknaben, alle mit größeren oder kleineren Fahnen versehen; die Schulmädchen, die sämtlich auf bunten Stäben Kränze trugen, dann die zwei Lehrer mit dem Geistlichen des Ortes mehrere Jungfrauen, ebenfalls Kränze tragend; der Ortsvorstand und Gemeindkirchenrat, zuletzt die Männer und Frauen der Gemeinde und wer sonst noch sich anschließen wollte. Die Rittergutsherrschaft nebst Familie hatte es vorgezogen, in zwei Wagen dem Zuge zu folgen. Nach einer guten Viertelstunde kam der Zug an Ort und Stelle an. Der bisher verhüllt gewesene Stein wurde enthüllt und freudig begrüßt. Die zwei ersten Verse des Liedes: „Allein Gott in der Höh sei Ehr“ nach dem Urtexte wurden mit Begleitung der Instrumente gesungen. Darauf hielt der Pastor Just eine passende Rede, worin er der Furcht, Unruhe und Angst des 15. und 16. Juni vorigen Jahres die heutige Freude und Festfeier am 16. Juni dieses Jahres entgegenstellte und Gott prieß, der so großes an uns getan. Unmittelbar an die Rede schloß sich die Weihe des Steines an, der für die Nachkommen bis in die spätesten Zeiten ein „Eben-Ezer“ sein sollte. Die ganze Versammlung sang das Lied: „Nun danket alle Gott.“ Hierauf brachte der Rittergutsbesitzer
Herr Amtmann R e u t h e r ein dreimaliges Hoch aus, Sr. Majestät dem Könige, sowie auch der preußischen Armee und ihren Führern, worin unter Musikbegleitung alles mit Begeisterung fröhlich einstimmte. Unmittelbar daran schloß sich der Gesang der preußischen Nationalhymne: „Heil dir im Siegeskranz“, womit am Orte die eigentliche Feier endete. Die Schulkinder erhielten einige Erfrischungen auf dem dortigen freien Platze, wo selbst ein Zelt aufgeschlagen war, und spielten froh miteinander. Die Erwachsenen drängten sich, den Stein zu sehen und die Aufschrift zu lesen; die Musik spielte fröhliche Melodien, nachdem auch Sie sich mit frischem Trank von Bier und Wein gestärkt hatte, und jung und alt freute sich des schönen Festes.
Der Herr Domänenpächter, Oberamtmann L ü c k e hatte gleichzeitig in einem Telegramme dem Herrn General Herwarth von Bittenfeld von der Festfeier Nachricht gegeben, worauf, (weil derselbe in die Schweiz gereist war) erst im Herbst gedachten Jahres ein sehr freundliches Schreiben einging, die Verspätung entschuldigend.
Um 12 Uhr wurde der Rückzug angetreten, nachdem die Jungfrauen ihre Kränze am Denkstein angebracht hatten. Nachmittags feierten die Schulfinder ein Schulfest auf einem freien Platze vor dem Dorfe, wobei Eltern und andere Erwachsene vergnügte Zuschauer waren.
So Gott will, soll alljährlich der 15. oder 16. Juni als ein festlicher Tag von der Schule und womöglich auch von der Gemeinde gefeiert werden.
Diese Aufzeichnungen sind von Herrn Lehrer S t ü r z e in Fichtenberg dem Verein für Heimatkunde freundlich übermittelt.
Quelle: „Elbbote“ Nr.: 6, 1912
Die Ausdrucksweise entspricht der damaligen Berichterstattung